Strukturen. Führung. Fusionen. Was Klinikverbünde wirklich stark macht.

Der deutsche Klinikmarkt befindet sich im Umbruch. Während manche Verbünde vor sich hin verwalten, entstehen anderswo hochdynamische Strukturen, in denen medizinische Exzellenz, wirtschaftliche Vernunft und gelebte Werte Hand in Hand gehen. Wer heute Versorgung ernst nimmt, muss sich mit weit mehr beschäftigen als mit Bettenzahlen oder Bilanzkennzahlen. Es geht um:

  • Strukturqualität: Wie regional oder zentral schafft ein organisiertes Versorgungsnetzwerk echten Mehrwert?
  • Führungsmodelle: Welcher Stil passt zu welchem Träger – und zu welchem Versorgungsauftrag?
  • Fusionen: Wie lassen sich Synergien heben, ohne Identität und Kultur zu zerstören?
  • Werte vs. Wirtschaftlichkeit: Überleben christliche Gemeinwohl-Ideale im unternehmerischen Alltag?

In diesem Beitrag werden all diese Aspekte ausführlich von der Bestandsaufnahme über Fallbeispiele bis zum Ausblick auf die kommenden Jahre behandelt.

Autor:

Florian Winkler ist Managing Partner bei SOLUTE und seit 2008 spezialisiert auf Besetzungsverfahren in Kliniken – von Ärztespitzenpositionen über Management- und Digitalrollen bis hin zur Begleitung komplexer Restrukturierungs- und Fusionsprojekte.

1. Strukturqualität: Regionalität statt Ferndiagnose

Überregional vs. Regional

Überregionale Klinikgruppen werben gerne mit Skaleneffekten: Großeinkauf, zentrale IT-Plattform, einheitliches Controlling. In der Realität bleibt die medizinische Zusammenarbeit oft ein Lippenbekenntnis. Zu groß sind Distanzen, zu heterogen die lokalen Bedarfe.

Regionale Klinikverbünde setzen dagegen auf räumliche Nähe und abgestimmte Prozesse. Zuweisungspfade, Karriereoptionen ohne Umzug, gemeinsam genutzte Infrastruktur (z. B. Labor, Apotheke, Großküche) schaffen Effizienz und Regionalbindung. Mitarbeiter*innen sehen, wie ihr Einsatz direkt vor der Haustür wirkt.

Best Practice: Ein Verbund mit einer 1.000-Betten-Zentralklinik und drei Satelliten (je 300 Betten) konnte seine Teams standortübergreifend einsetzen und eine vernetzte Versorgung insbesondere in hochkomplexen Gebieten wie der Schlaganfallversorgung aufbauen. Mit einer starken Stroke-Unit im Zentrum, flankiert durch vor- und nachversorgende Strukturen inklusive Weaning- und Frühreha-Optionen wohnortnah in der Fläche.

2. Fusionen als Transformationsprozesse

Eine Fusion ist kein juristischer Akt, sondern ein kultureller, klinischer und organisatorischer Wandel. Erfolgsfaktoren:

  1. Medizinische Kooperation
    ­– Aufbau standortübergreifender Zentren (z. B. Herz-, Tumor-, Trauma-Zentren)
    ­– Einheitliche Chefarztmodelle, die rotieren oder Teams übergreifend führen
  2. Kulturelle Integration
    ­– Nicht nur Leitbild-Workshops, sondern partizipative Change-Projekte
    ­– Mentor*innen-Programme, in denen „Althäuser“ und „Neuhäuser“ voneinander lernen
  3. Organisatorische Straffung
    ­– Gemeinsame IT-Architektur, ein abgestimmtes ERP-System, zentraler Einkauf
    ­– Aber: Stufenweise Einführung, um Überforderung der Mitarbeitenden zu vermeiden
  4. Politische und föderale Navigation
    ­– Abstimmung mit Kommune, Kreis und Land (z. B. bei Abfall-, Wasser- oder Bau­recht)
    ­– Regionale Gesundheitskonferenzen zur Einbindung aller Stakeholder

Fallbeispiel: Nach der Fusion zweier Landkreiskliniken wurde versucht sämtliche Prozesse binnen weniger Monate zu vereinheitlichen bzw. von einem Standort auf den andere überzustülpen. Ohne Erfolg. Im Gegenteil: Die Mitarbeitermotivation sank, medizinische Teams fühlten sich überrannt. Auf Expertise und Best Practices der jeweiligen Standorte wurde nicht geachtet. Erst nach einem Neustart und einem intensiven, am Ende mehrjährigen Kultur- und Strategieentwicklungs- und Prozessoptimierungs-Prozesses stiegen die Zufriedenheit, Versorgungsqualität und Fallzahlen wieder an und es war eine wirkliche Verbesserung erreicht.

3. Trägermodelle und ihre Führungsstile

Jeder Träger hat seine eigene DNA – und die prägt Führungsstil und Organisationskultur:

Take-away: Führung ist nie universell. Erfolgsversprechen einer Führungskraft hängen eng mit dem Trägermodell und den regionalen Bedingungen zusammen.

 

4. Werteorientierung versus Wirtschaftlichkeit

Gerade freigemeinnützige und konfessionelle Träger stehen vor einem Dilemma:

  • Ihre historische Mission verpflichtet zu Gemeinwohl und christlicher Wertebindung.
  • Der ökonomische Rahmen zwingt zu Fallpauschalen-Bilanzen, Effizienz und Controlling.

Frage: Kann man unter knappen Ressourcen noch „mehr Gemeinwohl“ leisten als andere?
Antwort: Wahrscheinlich nicht in quantitativer Hinsicht. Aber in qualitativer, weil die Geschichte und Tradition als interne Richtschnur dienen – und als externes Signal: Diese Häuser fühlen sich stärker verpflichtet.

Praxisbeispiel Ostdeutschland: Gerade in Regionen mit geringer Kirchenpräsenz kämpfen freigemeinnützige Kliniken um ihr Profil und das wirtschaftliche Überleben. Ohne mitglieder- und finanzstarke Kirchengemeinden und Diözesen im Hintergrund wird ein Jahr mit Verlust schnell zum kritischen Moment. Hier sieht man oft sehr stark als Komplexträger aufgestellte Einrichtungen, die gern auch in regionale Verbünde gehen. So können Herausforderungen in einzelnen Versorgungsbereichen mit Erfolgen in anderen ausgeglichen werden und die Stabilität steigt insgesamt.

5. Blick in die Zukunft: Digitalisierung und neue Rollen

Die Healthcare-Digitalisierung erreicht die Verbünde gerade erst. Doch sie wird schnell ganze Prozesse umkrempeln:

  • Entscheidungshilfen per KI in der Diagnostik (z. B. Bildanalyse, Pathologie)
  • Prozessautomatisierung im Controlling, bei Abrechnungen oder der Dokumentation
  • Telemedizinische Netzwerke, die auch Satellitenkliniken mit Zentrumsexpert*innen verbinden
  • Big-Data-Analysen zur Versorgungssteuerung und Qualitätskontrolle

Folgen: Manche Fachgebiete (Radiologie, Dermatologie) werden sich neu erfinden müssen. Andere (Palliativmedizin, Psychosomatik) gewinnen durch entlastete Ärzteteams an Bedeutung. Führungskräfte müssen jetzt schon beantworten:

  • Wie qualifizieren wir Mitarbeitende für neue Technologien?
  • Welche Positionen entfalten künftig echten Mehrwert?
  • Wie passen wir Ausbildung und Karrierepfade an?

Fazit

Starke Klinikverbünde sind kein Selbstläufer. Sie entstehen durch

  1. passgenaue Strukturen (regional vs. überregional),
  2. erfolgreiche Fusionen als echte Transformationsprozesse,
  3. führungsstarke Trägermodelle und
  4. gelebte Werte, die auch unter ökonomischem Druck standhalten.

Die Zukunft gehört denen, die nicht nur Zahlen optimieren, sondern Menschen, Kultur und Technologie gleichermaßen in den Blick nehmen.