KI als Gamechanger in der Gesundheitsbranche
Vergangenheit und Zukunft von Medizin und Mediziner*innen
Die Zahl der berufstätigen Ärzt*innen hat sich in den letzten rund 30 Jahren fast verdoppelt. 1990 hatten wir in Deutschland noch keine 240.000 berufstätigen Ärzt*innen und heute sind es über 420.000 arbeitende Mediziner*innen (1).
Das bedeutet auch, dass wir heute so viel mehr medizinische Versorgung haben als vor 20 oder 30 Jahren? Sicher nicht, da gleichzeitig die Teilzeitquoten und auch der Dokumentations- und Administrationsaufwand stark angestiegen sind.
So haben wir also fast doppelt so viele Mediziner*innen in Deutschland und dennoch ist kaum ein Fach oder eine Klinik wirklich ausreichend mit ärztlicher Power ausgestattet. Welche Lösungsansätze kann es dafür nun geben? Immer mehr Ärzt*innen ausbilden und dann für Dokumentation einsetzen? Menschen weiterhin so stark fordern und teils überlasten, dass ihnen nichts anderes als die Flucht in Teilzeitmodelle bleibt, um sich gesund zu erhalten?
Sicher auch das nicht. Andere Branchen haben vorgemacht, wie es gelingen kann oder konnten sich gesellschaftlichen Trends nicht so lange entziehen wie die Gesundheitsbranche.
Wie sieht es in anderen Branchen aus?
Schauen wir in andere Branchen, wie zum Beispiel das Bankgeschäft, dann sind genau gegenläufige Trends zu erkennen (Statista): Über 250.000 Beschäftigte in den 1990er Jahren, heute nur noch rund 150.000 Mitarbeitende und viele Banken würden sich sicher freuen, weiteres Personal abbauen zu können. Dennoch haben wir meist nicht das Gefühl, dass wir heute schlechter mit Finanzleistungen versorgt wären als vor 20 Jahren und vom großen Fachkräftemangel in der Bankenbranche hört man in den Nachrichten auch nicht wirklich.
Wodurch ist das möglich? Die Digitalisierung hat auf das Bankgewerbe absolut disruptiv gewirkt. Vom Überweisungsträger auf Papier über die Auszahlung von Bargeld durch den „Bankbeamten“: welcher Prozess ist hier denn noch so wie in den 1990ern? Und welche Erwartungshaltung haben wir? Wenn die App meiner Hausbank nicht alles aus einer Hand und mit möglichst geringem Aufwand (und ohne über Papierumwege gehen zu müssen) ermöglicht, dann wäre meine Stimmung richtig im Keller. Meine Gesundheitsdaten werden aber noch zwischen Leistungserbringern hin- und her gefaxt und liegen dann vielleicht nicht einmal vor, wenn ich sie beim Termin bei den nächsten Spezialist*innen benötige.
Veränderung durch Digitalisierung in der Healthcare-Branche hat gerade erst begonnen
Bisher hat sich im Gesundheitswesen und an den dortigen Berufsbildern noch relativ wenig geändert. Das KHZG und der stetig steigende Druck durch Patient*innen, aber auch von Investor*innen und einzelnen Vorreiter*innen in der Versorgungslandschaft selbst, werden hier aber auch für Healthcare (hoffentlich disruptive und zugleich positive) Veränderungen herbeiführen. Begleitet durch immer weniger verfügbare Arbeitskräfte und die gleichzeitig rigideren finanziellen Vorgaben, ist hier eine Veränderung notwendig und kommt langsam in Gang.
Wir führen kein Gespräch mit Klinikmanager*innen, in dem es nicht auch um die Vorteile von KI geht, aber auch um die Hürden, die durch Datenschutz etc. gegeben sind.
- Entscheidungshilfen im klinischen Kontext sind in vielen Fachgebieten etabliert; Am geläufigsten ist dies wahrscheinlich bei der Hautkrebserkennung
- BigData-Analysen durch AI im kaufmännischen und prozessualen Bereich – Hier ist ChatGPT sicher großer Treiber gewesen und wird aus datenschutzgründen, aber hoffentlich nicht wirklich mit Patient*innen-Daten gefüttert
- aber auch in der Meta-Analyse von Gesundheitsdaten, die die Erforschung von Krankheitsbildern und ihrer Entstehung und Behandlung vereinfachen und beschleunigen; Hier ist sicher die exponentielle Entwicklung in der Krebsmedizin bedeutend und beeindruckend
- … und so vieles mehr.
Die Ansätze sind vielfältig und umfassend und werden in Anbetracht der enormen Entwicklungen, die die KI Tag für Tag macht, immer größere Bereiche abdecken.
Ist das noch ein relevantes Fachgebiet oder können die Ärzt*innen weg?
Gut, das verändert den einen oder anderen Prozess. Automatisierung und Entlastung ist hier etwas Vorteilhaftes und wird Kapazitäten schaffen, um sich wieder stärker auf Patient*innen fokussieren zu können! Das ist sicher richtig und wird die Arbeitsverhältnisse in vielen Fachgebieten deutlich verbessern sowie für eine Optimierung des Outcomes sorgen.
Bestimmte Berufsgruppen oder Untergruppen wird es aber sicher auch hart treffen: Radiolog*innen oder Dermatolog*innen werden von der KI in ein paar Jahren nur bei ganz komplexen Fällen gebeten nochmal auf das Bild zu schauen. Viele Standard-Fälle werden wegfallen bzw. im Tagesgeschäft kaum noch menschliche Aktionen in der Diagnostik erfordern.
Was bedeutet das für die Ausbildung von Ärzt*innen und was machen die Radiolog*innen, die interventionell vielleicht nicht so interessiert oder geschickt sind? Gleiches ließe sich auf andere Berufsgruppen wie die Pathologie oder viele Bereiche der Labormedizin übertragen.
Und brauchen wir bestimmte (gerade sehr spezialisierte) Fachgebiete überhaupt noch? Wenn man sich den Fortschritt etwa in der Erforschung in der Entstehung und Behandlung von Krebserkrankungen anschaut, dann sei die Frage schon erlaubt, was wir mit den Tausenden Onkolog*innen machen, sollte man diese Erkrankung in einigen Jahren oder Jahrzehnten schon viel früher erkennen und ggf. sogar abwenden können.
Selbst der Patient*innen-Dialog, den wir sicher als eines der großen Felder heranziehen würden und die nur ein Mensch wahrnehmen kann, sind vor KI nicht sicher. So haben erste Studien gezeigt, dass „Gespräche“ mit KI in schwierigen Situationen besser bewertet werden als das Gespräch mit echten Mediziner*innen. KI ist einfach empathischer, nimmt sich mehr Zeit und kommuniziert verständlicher (2).
Kürzlich lief die vierte Staffel der ARD-Serie Charité (3) und sie spielte in der Zukunft. Die Charité war kaum wiederzuerkennen. Vom Bettenhochhaus hat man 2049 nichts gesehen. Und ehrlicherweise waren auch kaum Patient*innen, Pflegekräfte oder Ärzt*innen zu sehen. Und die, um die es ging waren vor allem Mikrobiolog*innen oder ein vor allem als Forscher aktiver Neurotechnologe. Sicher ein etwas gewagtes Bild, wenn wir nur über einen Zeitsprung von 25 Jahren sprechen, aber dass das Krankenhaus dann noch so aussieht und genau die Menschen braucht, die dort heute arbeiten, sollte auch allen klar sein.
Künftige Entwicklungen werden auf das Gesamtsystem wirken und damit auch das Individuum (als Fachkraft) beeinflussen
Wir müssen also stark davon ausgehen, dass sich die Branche durch die Einflüsse von Digitalisierung verändern und teils völlig wandeln wird. Nur davon zu träumen, dass ungeliebte Aufgaben abgenommen werden, greift sicher zu kurz. Dort wo digitale Anwendungen ersetzen können und sogar bessere Leistungen anbieten können (zeitlich unabhängig, ggf. in besserer Qualität), dort werden sie den Menschen ersetzen. Das war auch in anderen Branchen schon so. Noch sehen viele in der Klinik die Digitalisierung als etwas Anstrengendes, weil Systeme nicht ineinandergreifen oder nicht gut genug in die Arbeitsprozesse eingebunden sind. Einige erkennen in ihnen auch schon gute Helfer und lassen sich entlasten.
Gerade in hochspezialisierten Bereichen kann es für das Individuum problematisch werden, wenn es seine spezifische Expertise nicht mehr, nur noch in geringerem Umfang oder sehr stark gewandelt benötigt. KI wird dafür sorgen, dass genau das eintreten und heute noch hochgefragte Fachleute ersetzbar machen wird. Diese Veränderungen frühzeitig zu antizipieren, mitzugestalten oder sich ihnen zumindest nicht zu versperren, sollte also im Interesse einer jeden Person liegen, die noch ein paar Jahre im Beruf vor sich hat. Wenn wir uns noch einmal die Charité-Serie und das Jahr 2049 vor unser inneres Auge rufen: Wo sind Sie dort, wenn es Ihr Fachgebiet dann gar nicht mehr geben sollte? Umschulung in die Mikrobiologie oder lassen Sie sich am OP-Roboter ausbilden?
Vor diesem Hintergrund blicke auch ich gespannt auf das Jahr 2049 in dem ich 66 Jahre alt werde. Welche Positionen ich dann wohl für unsere Kunden besetzen darf und unter welchen Rahmenbedingungen unsere Arbeit als Headhunter dann wohl nachgefragt sein und erbracht werden wird? Es bleibt für alle im Gesundheitssystem beteiligten Personen spannend und wir sollten uns alle darauf einstellen, dass es zu Veränderungen kommen wird, die sowohl die Versorgung von Patient*innen betreffen wird, aber auch alle im System tätigen Menschen.
1Ärztestatistik der BÄK für das Jahr 2022: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Ueber_uns/Statistik/AErztestatistik_2022_09062023.pdf
2https://www.mdr.de/wissen/kuenstliche-intelligenz-ki-chatgpt-arzt-empathie-100.html
3https://www.daserste.de/unterhaltung/serie/charite/index.html