Bewerbungsinterviews via Skype und Co – alles wie immer oder neue Herausforderung für alle Parteien?

Bei SOLUTE führen wir seit Start der Kontaktbeschränkungen Mitte März nur noch digitale Bewerbungsinterviews via Videocall-Plattform durch und haben inzwischen auf diese Art mehr als 50 Gespräche geführt. Wie gut funktionieren digitale Bewerbungsinterviews aus eignungsdiagnostischer Sicht und was muss ich als Interviewer, was als Bewerber beachten? Im ersten Blogbeitrag widmen wir uns den Learnings für Interviewer, in Teil 2 den Dos and Don‘ts für Bewerber.

Zeit einplanen für technische Probleme oder Unsicherheiten

Nicht jeder ist technisch affin und sicher in der Einwahl in das Tool, das Sie verwenden. Geben Sie ggf. Hilfestellung beim Start (Ihr Mikrofon ist noch nicht an, Sie müssen Ihre Kamera noch freischalten) und nehmen Sie so ein wenig von der Unsicherheit, die viele Bewerber hier häufig noch haben. Ebenso empfiehlt es sich, die Telefonnummer des Kandidaten parat zu haben, um ggf. anzurufen und (technischen) Support bei der Einwahl zu leisten. Heißt im Gegenzug: Sie müssen Ihr Tool und die häufigsten Schwierigkeiten, die auftreten, unbedingt kennen; müssen es also in Tests mit Kollegen auf unterschiedlichen Einwahlgeräten einmal ausprobiert haben.

Reingebeamt ist noch nicht angekommen

Interviews sind mehr als nur Informationsaustausch. Um die Passung eines Kandidaten solide einschätzen zu können, müssen Sie ihn so authentisch wie möglich kennenlernen. Dazu bedarf es einer mehr oder weniger entspannten Atmosphäre, um einen gewissen Beziehungsaufbau zu ermöglichen. Die Sach- oder Informationsebene wird vor allem verbal versorgt und damit im Format Videocall automatisch unterstützt, die Beziehungsebene gerät dagegen ganz leicht ins Hintertreffen, da sie vor allem non- und paraverbal gestützt ist. Dies ist nicht gänzlich zu ändern, sollte Interviewern aber zumindest bekannt sein, um dem so gut wie möglich entgegenzuwirken: Etwa durch ein wenig mehr Small Talk als gewöhnlich, einem Kommentar über das Bild an der Wand beim Kandidaten zu Hause oder ähnliches.

Haben Sie in diesem Zusammenhang auch im Hinterkopf, dass der Bewerber quasi ohne Begrüßung direkt im digitalen Meetingraum erscheint – anders als im persönlichen Gespräch gibt es keinen Empfang durch ein Sekretariat, kein Ankommen und orientieren im Raum und dadurch viel weniger Warmup-Phase. Führen Sie also im digitalen Interview ruhig ein wenig mehr Small Talk als gewöhnlich, um das Eis zu brechen und einen möglichst authentischen Kandidaten zu erleben. Schauen Sie außerdem von Zeit zu Zeit direkt in die Kamera, sprechen Sie den Kandidaten mit Namen an und interagieren sie mit normaler Gestik und Mimik – der simulierte nonverbale Kontakt schafft Nähe.

Mehr Kommunikation über Nichtvorhandenes

Mehr hilft in Videocalls tatsächlich auch mehr. In persönlichen Interviews werden verbale, nonverbale und paraverbale Kommunikation von unserem Gehirn automatisch als Eins aufgenommen und verarbeitet – im Videocall müssen diese Kanäle quasi aktiv vom Gehirn integriert werden. Das strengt zum einen physisch mehr an, zum anderen heißt es aber auch, dass wir Stimmungen, nicht sofort deutbare Mimik oder sonstiges, das uns auffällt, aktiv beim Gegenüber nachfragen sollten. Redeflüsse etwa, die trotz Zwischenfrage vom Interviewer nicht enden, liegen vielleicht daran, dass der Kandidat diese nicht oder stark zeitversetzt hört.

Und natürlich ist auch immer nur der Oberköper oder gar nur der Kopf vom Gesprächspartner und Ihnen zu sehen, heißt also: Wenn Sie den Lebenslauf des Kandidaten vor sich liegen haben und darin Notizen machen, sieht der nur, dass Sie ständig nach unten schauen und wertet dies möglicherweise als Desinteresse oder vermutet gar, dass Sie gerade parallel mit Ihrem Handy beschäftigt sind. Sprechen Sie also zu Beginn proaktiv an, warum Sie später nach unten schauen werden.

Leuchtende Hände Technologie und Business

Rollenvermischung akzeptieren

Bewerber nehmen Videocalls von zu Hause aus wahr und mischen damit privates und berufliches automatisch. Diese Kontextvermischung wirkt auf Sie als Interviewer möglicherweise befremdlich, wenn der Bewerber beziehungsweise die Bewerberin Ihnen ungeschminkt und mit T-Shirt gegenübersitzt – anders ist besser, dennoch sollte man aufgrund der immanenten Kontextvermischung durch den Videocall aus dem Homeoffice Nachsicht walten lassen.

Irritation durch das eigene Bild

Sowohl Kandidat als auch Sie selbst sind möglicherweise irritiert, das eigene Gesicht im Videocall zu sehen. Wenn dies stört und ablenkt: die meisten Programme ermöglichen es, Ihr eigenes Bild auszuschalten bzw. als Moderator nur das Gegenüber einzublenden. Vermeiden sollten Sie in jedem Fall, die Kamera wie einen Spiegel zu benutzen und etwa an Haaren oder Kleidung herumzuzupfen.

Pausen einplanen

Wie schon kurz angerissen, muss unser Gehirn in Videocalls deutlich mehr Integrationsarbeit der Wahrnehmungen leisten, als dies in persönlichen Kommunikations-Settings der Fall ist. Dies und die Tatsache, dass wir über 60 bis 90 Minuten mit geringem Abstand auf einen Bildschirm starren, ermüdet die Meisten. Aktive Pausen, Augen-Yoga oder ähnliches sollte man daher gerade in Videocalls einplanen und Termine nicht zu eng legen.

Eignungsdiagnostische Qualität von Video-Interviews

Und wie gut funktionieren digitale Bewerbungsinterviews jetzt eigentlich im Vergleich zu persönlichen Gesprächen? Meiner Einschätzung nach stehen sie persönlichen Interviews fast in nichts nach – sofern die vorherigen Punkte beachtet bzw. im Hinterkopf behalten werden und die Technik nicht streikt, also Bild mit Nahaufnahme des Kandidaten und Ton sauber übertragen werden. Manch ein Kandidat mag sich in den eigenen vier Wänden sogar sicherer und selbstbewusster fühlen und dadurch Facetten zeigen, die eigentlich in ihm stecken, die aber in einem normalen Face-to-face-Interview aufgrund von Unsicherheiten eher untergegangen wären.

Lesen Sie kommende Woche in Teil 2 was Bewerber in Videocalls beachten müssen.

 

Christina Krey, Senior Projektleiterin & Mitglied der Geschäftsleitung

 

Beitragsbild: Shutterstock by fizkes

Bild: Shutterstock by Lidiia